Joseph P. Kennedys Weg nach Trafalgar:

US-Botschafter in London am Vorabend des 2. Weltkriegs

US-Botschafter in London am Vorabend des 2. Weltkriegs

Immer wieder aufs Neue beschäftigen sich Historiker mit den Ereignissen der Jahre vor dem 2. Weltkrieg, vor allem der Jahre 1938-39 und dennoch tauchen immer wieder, vielleicht aber auch gerade wegen der inzwischen zahlreichen Erklärungsversuche, die gleichen Fragen auf: Welche Gründe bewogen Neville Chamberlain, den Führer der Deutschen, gerade auch während der Krise um die Tschechoslowakei, so scheinbar verständnisvoll zu behandeln? Was hinderte seine Regierung, diesem immer wieder den Status quo gefährdenden Deutschen Reich den Krieg zu erklären?

Joseph Patrick Kennedy steht im Mittelpunkt dieser Arbeit, weil er in einer wieder einmal entscheidenden Phase der amerikanisch-britisch-deutschen Beziehungen (1938 – 40) jenes Land als Botschafter gegenüber dem Empire vertrat, das von genau diesem Zeitpunkt an endgültig die Weltgeschicke bestimmen sollte. Mit jeder der eingangs gestellten Fragen hatte Kennedy unmittelbar zu tun. In einem hohen Maße fühlte er sich sogar direkt verantwortlich und zwar keineswegs nur als Botschafter seines Landes, bzw. seiner Regierung, sondern auch als ein bedeutender Vertreter der die USA regierenden Demokratischen Partei sowie einer ihrer stärksten Kräfte, der US-amerikanischen Katholiken.

Erhältlich ist das Taschenbuch im Buchhandel und bei Amazon.

Inhaltsverzeichnis

Vorwort………………………………………………………………………………….. 11

Auf dem Weg zum Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika am Hofe von St. James`s       23

Botschafter ohne Botschaft……………………………………………………….. 46

Das Vereinigte Königreich zum Zeitpunkt der Ernennung Kennedys…. 59

Botschafter am Court of St. James’s……………………………………………. 76

Diener zweier Herren – Kennedy und der Spanische Bürgerkrieg……….. 100

Kennedys Rede vor der Pilgrims Society………………………………………. 115

Das Anglo-Amerikanische Handelsabkommen – Kennedys Werk……… 125

Kennedys Kontaktaufnahme zur Deutschen Botschaft……………………. 152

Kennedy und Lindbergh – Appeaser trifft Isolationisten…………………. 169

Trafalgar Day………………………………………………………………………….. 180

Kennedy for President?…………………………………………………………….. 204

Epilog…………………………………………………………………………………….. 221

Kennedys Rede vor der Pilgrims Society am 19. März 1938…………….. 230

Kennedys Rede vor dem Navy Club am 24. Oktober 1938………………. 238

Quellen- und Literaturverzeichnis……………………………………………….. 249

Englische Fassung

Hier können Sie sich die Englische Fassung des Werkes angucken:

Chapter VIII

Chapter IX

VORWORT

Immer wieder aufs Neue beschäftigen sich Historiker mit den Ereignissen der Jahre vor dem 2. Weltkrieg, vor allem der Jahre 1938/1939 und dennoch tauchen immer wieder – vielleicht aber auch gerade wegen der inzwischen zahlreichen Erklärungsversuche – die gleichen Fragen auf:

  • Welche Gründe bewogen Neville Chamberlain, den „Führer“ der Deutschen – gerade auch während der Krise um die Tschechoslowakei – so scheinbar verständnisvoll zu behandeln?
  • Was hinderte seine Regierung, diesem immer wieder den Status quo gefährdenden Deutschen Reich den Krieg zu erklären?.
  • Welche Gründe veranlassten die britische Regierung, selbst die Volksfrontregierung der Republik Frankreich dahin zu bringen, nicht der spanischen Regierung gegen die Franco-Rebellen zu Hilfe zu kommen und
  • warum folgte ausgerechnet die Roosevelt-Administration dieser Übereinkunft und warum war dann für diese Administration der Anglo-amerikanische Handelsvertrag von so großer Bedeutung?

Alles in allem Fragen, die – so die hier vertretene These – eng miteinander verwoben sind und die nicht einzeln, also getrennt voneinander, behandelt werden dürfen. Genau dieser Umstand macht die Person des 1937 neu ernannten Botschafters der Vereinigten Staaten von Amerika, Joseph Patrick Kennedy, so außerordentlich interessant. Dieser war in gewisser Weise einer der Dreh- und Angelpunkte des Geschehens in jenen Tagen, und das Überraschende ist, dass dies in der Forschung relativ wenig Beachtung gefunden hat – in der oben erwähnten von Frank McDonough herausgegebenen Veröffentlichung wird sein Name nicht einmal im Index aufgeführt.

Joseph Patrick Kennedy steht im Mittelpunkt dieser Arbeit, weil er in einer wieder einmal entscheidenden Phase der amerikanisch-britisch-deutschen Beziehungen (1938 – 40) jenes Land als Botschafter gegenüber dem “Empire“ vertrat, das von genau diesem Zeitpunkt an endgültig die Weltgeschicke bestimmen sollte. Mit jeder der eingangs gestellten Fragen hatte Kennedy unmittelbar zu tun. In einem hohen Maße fühlte er sich sogar direkt verantwortlich und zwar keineswegs nur als Botschafter seines Landes, bzw. seiner Regierung, sondern auch als ein bedeutender Vertreter der die USA regierenden Demokratischen Partei sowie einer ihrer stärksten Kräfte, der US-amerikanischen Katholiken. Kennedy spielte diese Rolle auf eine vermeintlich eigenständige Weise. Es wäre allerdings auch nicht völlig falsch zu sagen, dass die entscheidenden Personen der Roosevelt-Administration ihn diese Rolle spielen ließen, weil man sein Handeln einzuordnen wusste, sowohl in Bezug auf seine persönlichen Ambitionen, als auch in Bezug auf seinen konfessionellen, katholischen Hintergrund und seine Möglichkeiten, die Anhänger dieser Konfession zu mobilisieren.

Kennedys Tätigkeit in London soll in Bezug auf vier Themenkomplexe näher untersucht werden:

  • Chamberlains Politik des appeasement,
  • die Neutralitätspolitik der USA gegenüber den faschistischen Mächten und dabei insbesondere gegenüber den Franco-Rebellen,
  • die Verhandlungen um den Anglo-amerikanischen Handelsvertrag und
  • die Kandidatenfrage in der Democratic Party in Bezug auf die Präsidentschaftswahl 1940.

Zwei Historiker haben sich bisher expressis verbis mit der Botschaftertätigkeit Kennedys auseinandergesetzt. Roger Carl William Bjerk in seiner Promotionsschrift 1971[1] und Ralph de Bedts 1985[2]. Beide Arbeiten behandeln, wenn auch mit unterschiedlicher Tendenz – nicht nur bedingt durch unterschiedliche Verfügbarkeit von Akten – ausführlich Kennedys Botschaftertätigkeit im engeren Sinne. Es ist hier nicht die Absicht, diesen Arbeiten eine weitere dieser Art, ergänzt und korrigiert aufgrund anderer Erkenntnisse aus zwischenzeitlich zugänglichen Akten, hinzuzufügen. Hier soll es vor allem darum gehen, den Weg eines irisch-katholischen Geschäftsmannes und dann auch Politikers nachzuzeichnen,

  • der aufgrund nachweislicher Leistungen für die Roosevelt-Administration den Auftrag erhielt, die Politik seiner Regierung auf dem damals weltweit wichtigsten Posten, der US Botschaft in London, dem Mittelpunkt des britischen Empires, zu vertreten,
  • der allerdings spätestens seit seinen ersten erfolgreichen Auftritten in London über die Erfüllung der eigentlichen Aufgabenstellung hinaus eigene politische Ziele verfolgte und
  • der spätestens in diesem Zusammenhang den Ehrgeiz entwickelte, 1940 für die Demokratische Partei die Nachfolge Franklin D. Roosevelts anzutreten.

Eigene politische Zielsetzungen zu verfolgen, war für Kennedy zunächst relativ unproblematisch, weil es zu dem Zeitpunkt, wie zu zeigen sein wird, keine klar ausformulierte Außenpolitik der Vereinigten Staaten und daraus abgeleitet Vorgaben für die Arbeit des Botschafters gab, schon gar nicht gegenüber den faschistischen Mächten. Die Nachfolge des amtierenden Präsidenten Roosevelt anzutreten, war demgegenüber aufgrund parteiinterner gewichtiger Konkurrenten schon problematischer, aber immerhin: im November 1940 würde dem alten Brauch entsprechend ein neuer Präsident zu wählen sein. Nichts sprach im Jahre 1938 dafür, dass der amtierende Präsident Roosevelt von dieser Tradition abweichen würde. Kennedy wurde auf der anderen Seite zur Überraschung vieler – und zwar nicht nur aufgrund der zahlreichen Begebenheiten um seine vielköpfige Familie – sehr bald im London des Jahres 1938 zum rising star der britischen Gesellschaft, was dank geschickter Pressearbeit umgehend in den USA Tagesthema wurde. Das half, das Image des knallharten Geschäftsmannes zu modifizieren und so die Popularität und das persönliche Ansehen Kennedys in den USA zu steigern. Den Absturz nach diesen persönlichen Höhenflügen verursachte Kennedy mit seiner Rede vor der Navy League anläßlich des Trafalgar Day Dinner am 24. Oktober 1938, in der er die Möglichkeit des friedlichen Zusammenlebens von Demokratien und Diktaturen ansprach, allerdings selbst. Die Rede wurde sein persönliches Trafalgar. Von einem im Einklang befindlichen Roosevelt-Kennedy Gespann konnte jedenfalls von diesem Moment an keine Rede mehr sein.

Erstaunlich ist zunächst, daß Ralph de Bedts Bjerks Arbeit offenkundig nicht kannte. Das ist dann allerdings weniger überraschend, wenn man berücksichtigt, daß weder Michael Beschloss, noch Ronald Kessler und noch nicht einmal David Nasaw einen Bezug zu dieser Arbeit herstellen. Tatsächlich wird Bjerks Arbeit 2002 zum ersten Mal in einer Veröffentlichung erwähnt und zwar von Edward M. Bennett, Bjerks Doktorvater, dann allerdings auch von Will Swift 2008 in dessen Veröffentlichung „The Kennedys Amidst The Gathering Storm“.

Hingewiesen werden soll hier bereits auf einen wesentlichen inhaltlichen Unterschied der beiden Arbeiten: De Bedts geht eher zufällig und am Rande auf das Thema „Spanischer Bürgerkrieg“ ein und kommentiert frühere kritische Darstellungen der Einflußnahme Kennedys mit der Feststellung: “In actuality, Kennedy`s influence was minimal. It was only one of a host of factors, most of the others being of far more import in the retaining of the embargo. …”

Bjerk dagegen widmet sich diesem Thema ausführlicher, wenn auch in deutlich apologetischer Absicht. Unter anderem bezieht sich Bjerk ausdrücklich

auf F. Jay Taylors 1956 und Allen Guttmanns 1962 erschienenen Veröffentlichungen zum „Spanischen Bürgerkrieg. Guttmann hatte z.B. geschrieben: „… Kennedy, a Catholic Layman, was sympathetic …“ in Bezug auf die sogenannte Neutralitätspolitik der USA, die die Franco Rebellen begünstigte. Und Taylor schrieb: ”… Both Bullitt and Kennedy corresponded directly with the President and repeatedly urged him to retain the Spanish embargo so as not to embarrass the nonintervention efforts of Britain and France. … .” Es war Bjerk offenkundig ein wichtiges Anliegen, Kennedy u.a. auch in diesem Zusammenhang gegen Vorwürfe zu verteidigen De Bedts Darstellung ist umfassend in Bezug auf Kennedys Tätigkeit als Botschafter, aber schlicht unzureichend in Bezug auf Kennedys dezidierte politische Einflußnahme auf wesentliche Elemente amerikanischer Außenpolitik. Bjerk ist kritisch zu sehen, weil er wieder und wieder bemüht ist, Kennedys Handeln als das eines auf sich selbst gestellten Diplomaten zu charakterisieren. Nach Bjerk handelte Kennedy lediglich so, wie es die Umstände erforderten. Tatsächlich habe er ja keine Handlungsvorgaben aus Washington erhalten und habe, der Not gehorchend, allein entscheiden müssen, sein Handeln habe also gar nicht eigenmächtig sein können Diese Interpretation wird insbesondere auch in Bezug auf das Verhalten der Administration gegenüber Spanien nahegelegt. Tatsächlich vertrat Kennedy hier allerdings eine ganz eigene Politik, eine Politik, die durchaus mit einem Flügel der demokratischen Partei in Einklang zu bringen war, weniger jedoch mit den wichtigsten Vertretern der Administration (zu nennen sind vor allem Innenminister Harold Ickes, Finanzminister Henry Morgenthau, Landwirtschaftsminister Henry Wallace und letztendlich auch Außenminister Cordell Hull) und nur begrenzt mit Franklin D. Roosevelt und dessen persönlichen Idealen eines Zusammenlebens von Staaten und Menschen.

Drei Konflikte beherrschten 1938 das Denken und Handeln der Menschen und der Politik: Der Japanisch-Chinesische Krieg, die deutsch-tschechoslowakische Kontroverse um die Sudetendeutschen und der „Spanische Bürgerkrieg“. Der mit unsagbarer Härte geführte Krieg der Japaner gegen China verblasste in der kontinentaleuropäischen Wahrnehmung gegen die „rein europäischen“ Konflikte und da es sich in Spanien angeblich um einen „Bürgerkrieg“ handelte, wird insbesondere in der kontinentaleuropäischen Geschichtsschreibung das Verhalten der Deutschen Reichsführung gegenüber der Tschechoslowakei zu dem alles beherrschenden Thema.

Es ist allerdings wichtig, deutlich zu machen, dass eine Geschichtsschreibung, die sich in der Betrachtung und Beurteilung der Politik des appeasement allein auf Mitteleuropa konzentriert, die Bedeutung der Ereignisse in Spanien unzulässig vernachlässigt. Die Raum greifende Debatte darum, wie man der Deutschen Reichsregierung im Zusammenhang mit der Sudetenfrage und den gut 3 Millionen Sudetendeutschen hätte begegnen sollen, marginalisiert, dass zu genau diesem Zeitpunkt die 2. Republik Spaniens mit einer Bevölkerung von gut 25 Millionen Menschen mit ihrer gewählten Regierung sich eines faschistischen Usurpators und seiner faschistischen/nationalsozialistischen Helfer zu erwehren suchte. Dieser sogenannte „Bürgerkrieg“ ging zu der Zeit des Münchner Abkommens in seine Endphase, und es ist ein offenes Geheimnis, daß zumindest die britische Regierung unter Chamberlain – übrigens auch Churchill – einen Sieg der Franco Rebellen herbeiwünschte, allerdings ohne offen dazu etwas beizutragen; man verhielt sich „neutral“ und überließ den Deutschen und Italienern „die Arbeit“. Die Frage, ob sich das britische Verhalten in dieser Zeit tatsächlich mit Schwäche oder wankelmütigem Verhalten Chamberlains erklären läßt oder ob Chamberlain nicht schlicht kühl kalkulierte, was unter den gegebenen Umständen das vom eigenen Interesse her Machbare und Vernünftige gewesen wäre, wird im Rahmen dieser Arbeit allerdings nicht vertieft werden. Hingewiesen werden soll hier lediglich auf Chamberlains Tagebucheintragung vom 19. Februar 1938, in der nüchtern und präzise die zu berücksichtigende Lage beschrieben wird und die beeindruckend belegt, welche Skrupel der nüchterne Chamberlain angesichts der notwendigen Investitionen in Kriegsmaterial empfand.

Es wird hier als eine Aufgabe angesehen zu belegen, dass die Regierungen der ehemaligen Entente Mächte zu der in Rede stehenden Zeit bei der Behandlung der Probleme in Mitteleuropa stets auch die Entwicklung in Spanien im Auge hatten. Dieser verharmlosend sogenannte civil war ist eher als Interventionskrieg der Italiener im Verbund mit den Deutschen auf der einen Seite und der UdSSR auf der anderen Seite anzusehen. Es ging auch nicht um eine rein „innere“ spanische Angelegenheit. In Spanien entschied sich vielmehr, in welche Richtung Europa gehen würde: ein laizistisch/sozialistisches Spanien, verbunden mit einem ebenso verfassten Frankreich hätte ein anderes Europa entstehen lassen. Entsprechend war die Politik der britischen Regierung, wie auch die der französischen und in deren Schlepptau die der USA, – und nicht zu vergessen die des Vatikan, der hier als gleich bedeutsam angesehen wird – darauf ausgerichtet, „to appease“ die Deutschen und Italiener, zumal die sozialistische Gefahr in diesen beiden Staaten gebannt worden war. Die letzten Endes interessante Frage ist also, ob vielleicht der nationalsozialistischen Regierung so lange Raum gelassen wurde, bis sie gemeinsam mit ihrem Pendant in Italien die „Aufräumarbeit“ in Spanien, die für notwendig gehalten wurde, mit der man sich aber nicht die Hände schmutzig machen wollte, erledigt hatte – schließlich galt es ja auch, britisches Eigentum, beispielsweise den britischen Bergbaukonzern „Rio Tinto“, zu schützen. Zu beantworten bleibt deshalb die Frage, ob die Nachgiebigkeit in München auch bedingt war durch den Wunsch, unbeschadet und damit am Ende sogar erfolgreich aus der Spanienaffäre herauszukommen. In Bezug auf das Verhalten der Roosevelt Administration ist der interessanteste Aspekt, dass z.B. selbst Senator Nye, Vorsitzender des Senate Munition Investigating Committee sich vehement für die Aufhebung des Waffenembargos aussprach und somit in der damals üblichen Sprachregelung sich vom Isolationisten zum Internationalisten, mehr noch zum Interventionalisten wandelte und z.B. der zumindest auf der ökonomischen Ebene als Internationalist zu bezeichnende Joseph Patrick Kennedy, wie sein Vorgesetzter, Secretary of State Cordell Hull, im eigentlichen Sinne zu Isolationisten wurden, indem sie für die Aufrechterhaltung des Embargos votierten. Auf dieses Problem wird in dem Kapitel „Spanischer Bürgerkrieg“ ausführlicher eingegangen.

Kennedys Tätigkeit als Botschafter in diesem Zeitraum streng chronologisch abzuarbeiten, ist – wie bereits angedeutet – nicht das Ziel dieser Arbeit. Da hier davon ausgegangen wird, dass Kennedy sehr klare Vorstellungen davon hatte, was er in Europa erreichen wollte, wird anhand offenkundiger „markanter Ereignisse“ versucht, seine Zielsetzungen zu beschreiben und zu interpretieren. Aus diesem Grunde muss auch an dieser Stelle betont werden, dass Kennedy sich tatsächlich keineswegs allein als Empfänger und Vermittler von Nachrichten verstand, der ansonsten auf Empfängen der englischen High Society eine „gute Figur“ für sein Land zu machen habe. Nicht dass Kennedy Empfänge verabscheute, im Gegenteil, er genoss die Begegnungen mit den Royals und Lords und Ladies. Böse Zungen in Washington behaupteten ja, dass Kennedy, der katholische Emporkömmling aus Boston, sich z.B. deswegen auch von dem Cliveden Set habe einnehmen lassen, weil er dort die gesellschaftliche Anerkennung erfuhr, die ihm in der von White Anglo-Saxon Protestants dominierten US-amerikanischen Gesellschaft verwehrt geblieben war. Bei all diesen – durchaus nicht unwichtigen – Äußerlichkeiten sollte allerdings nicht übersehen werden, dass Kennedys Bedeutung nicht zuletzt durch den Umstand gekennzeichnet war, dass er einen ganz persönlichen „Draht“ zu Roosevelt pflegen konnte. Immer dann, wenn ihm der „Apparat“, das Außenministerium, zu umständlich oder auch ignorant erschien, wandte er sich unter Nichtbeachtung des „Dienstweges“ direkt an den Präsidenten – was Roosevelt durchaus entgegenkam -, um seine Vorstellungen vorzutragen und diesen Akzeptanz zu verschaffen. Wie bei anderen Botschaftern auch (z.B. William C. Bullitt oder Claude Bowers) nahm Cordell Hull, der Außenminister, dies kommentarlos hin.

Als „markante Ereignisse“ sind anzusehen:

  • Kennedys Rede anläßlich des ‘Pilgrims Dinner‘,
  • Kennedys Instrumentalisierung Charles E. Lindberghs,
  • die Kontaktaufnahme zur deutschen Botschaft,
  • der Abschluß des Anglo-amerikanischen Handelsvertrages und
  • die Reden, die Kennedy bis zum Trafalgar Day hielt.

Die Rede am Trafalgar Day, in der Kennedy neben vielen anderen Themen auch seine pet theory eines friedlichen Zusammenlebens von Demokratien und Diktaturen skizzierte, markierte einerseits einen Höhepunkt seiner Tätigkeit in London, zugleich aber auch – zumindest aus amerikanischer Sicht – einen Tiefpunkt. Spätestens von diesem Zeitpunkt an wurde seine diplomatische Tätigkeit insbesondere von der dominanten Ostküstenpresse – die Hearst Medien blieben ihm überwiegend wohlwollend gesonnen – besonders kritisch begleitet. Diese kritische Beobachtung dürfte Roosevelt durchaus gefallen haben, insbesondere von dem Zeitpunkt an, von dem sich die Signale mehrten, daß Kennedy mit einer Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 1940 liebäugelte.

Es liegt allerdings auf der Hand, dass Kennedys Aktivitäten nur dann angemessen beurteilt werden können, wenn einerseits berücksichtigt wird, warum er, ein Unternehmer und Finanzjongleur, überhaupt zum Botschafter ernannt wurde. Wie es andererseits ebenso erforderlich ist zu skizzieren, welchen politischen Herausforderungen sich die britische Regierung und führende Kreise des Empires zu der Zeit um 1938 gegenübergestellt sahen. Diese musste Kennedy schließlich verstehen, einerseits um überhaupt agieren zu können und andererseits um deren Tun und Lassen der Roosevelt Administration verständlich zu machen Es ist also auch erforderlich, ein „Schlaglicht“ darauf zu werfen, in welcher Situation sich das Britische Empire insbesondere in der Zeit von 1936–1939 befand.

Kurz soll auch noch die Art der schriftlichen Darstellung erläutert werden. Dass komplexe politische und damit auch historische Prozesse allgemeinverständlich dargestellt werden können, ja, sogar auf eine Weise, dass diese Darstellungen gerne gehört bzw. gelesen werden, hat meine Meinung nach der englische Historiker Alan J.P. Taylor eindrucksvoll demonstriert. Hier wird gern in Anlehnung an seinen „narrativen Erzählstil“ geschrieben, wohlwissend, daß er in dem Moment heftiger Kritik ausgesetzt war, als er auf eben diese Weise die Ursprünge des 2. Weltkrieges und das Handeln der zu der Zeit Verantwortlichen beleuchtete.

Benjamin Carter Hett schreibt in seinem Beitrag „Goak here“, dass Alan.J.P. Taylors Vorbilder (models) eher Literaten, Schriftsteller als Historiker gewesen seien, insbesondere G.B. Shaw. “I fell under the spell of his style“, so zitiert ihn Hett und zitiert ihn weiter mit den Worten: “I have no delight , impish or otherwise, in shocking readers. I don`t care one way or the other. I put down what seems to me right without worrying whether it is orthodoxy or shocking. Readers who insist on being shocked have only themselves to blame.”

So unterscheidet sich Taylor jedenfalls wohltuend von seinem lebenslangen Konkurrenten, dem bis zu seiner Kommentierung der gefälschten sogenannten „Hitler-Tagebücher“ gern als “leading expert on Nazi documents“ bezeichneten Hugh Trevor-Roper, der in letztendlich allem, was irgendwie nach nazistischer Hinterlassenschaft aussah, Hitlers und der „Nazi party“ Pläne meinte entlarven zu können. Taylor setzte dagegen: Hitler habe keine Pläne gehabt, der Diktator sei schlicht unfähig dazu gewesen, „Mein Kampf was nothing more than beer hall chatter“ so A. J. P. Taylor bei Hett.

Vielleicht nicht gerade Bierhallengerede, allerdings wohl ein Werk, dessen angeblicher Autor sich während seiner Landsberger Gefängniszeit von dem in Kairo geborenen Rudolf Hess, (deswegen „der Ägypter“ genannt) die Feder führen und von den Herren Haushofer und den „Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts“ eines Houston Stewart Chamberlain inspirieren ließ.

Epilog

Über Kennedys Botschaftertätigkeit in London zu schreiben, erfordert zumindest im Schlußwort einen Hinweis auf die während der Amtszeit des 28. Präsidenten der Vereinigten Staaten sich entwickelnden special relations zwischen beiden Staaten. Bedeutsamer noch als Woodrow Wilson selbst sind in Bezug auf diese besonderen Beziehungen allerdings die beiden Botschafter, die er nach London entsandte. Walter Hines Page (1913 -1918) und John W. Davis (1918 – 21). Gemeinsam war allen dreien die Herkunft aus den Südstaaten und die Mentalität der weißen Bevölkerung dieses Teiles der Vereinigten Staaten, die insbesondere bei Page und Davis mit der “… adoration for ’the English speaking people‘ – a connection based on common families, the cotton trade and a romantic ‚cavalier‘ view of the planter as English country gentlemen. …” gekennzeichnet war.

Walter Hines Page wurde von Woodrow Wilson, kaum dass dieser das Amt des Präsidenten angetreten hatte, zum Botschafter in London ernannt. Beschrieben wurde er als „… firm believer in Anglo-American superiority in cultural and political matters …“

Erstmals großes Aufsehen erregte Page, als er sich am 14. März 1914 vor einem Londoner Publikum aus dem Stegreif zur Monroe Doktrin und zu den Panama Kanalgebühren äußerte. Seine Äußerungen wurden zwar mißinterpretiert, aber William Randolph Hearst ”… devoted almost the entire editorial

front page of the New York ‘American‘ to a public attack on Page, Wilson and the repeal bill. …” Der Senat zog diese Angelegenheit an sich und einige Senatoren forderten die Abberufung von Page. Dem Ansinnen war zwar kein Erfolg beschieden, aber spätestens von diesem Moment an galt Page als ausgesprochen anglophil und die isolationistische Presse verfolgte seine Aktivitäten mit Argusaugen.

Ähnlich wie Page, der Wilson von Anbeginn des Great War drängte, auf der Seite der Entente-Mächte in den Krieg einzutreten, empfand auch sein Nachfolger John Davis.

Beiden als anglophil geltenden Botschaftern der Vereinigten Staaten wurde zwangsläufig immer wieder von isolationistischen Kreisen vorgeworfen, eher die Sache Englands als die der Vereinigten Staaten zu vertreten. Sehr bald hatten die gleichen Kreise auch den von Roosevelt umgehend nach den Inaugurationsfeierlichkeiten zum Botschafter in London ernannten Robert Worth Bingham im Visier. Bingham, Verleger aus Kentucky, hatte sich sehr früh für die League of Nations eingesetzt und bei der Finanzierung der Pro-League Independents geholfen. Darüber hinaus hatte er eine aktivere internationale Rolle der USA gefordert und trat folgerichtig in die liberal Foreign Policy Association ein.

Die Im Rahmen der Ernennung Binghams erforderliche Anhörung vor dem Senat verlief außerordentlich problematisch. Es bedurfte letztendlich der Einflußnahme des Weißen Hauses, um die Ernennung Binghams durchzusetzen. Kaum in London akkreditiert, hielt auch Bingham eine Rede vor der Pilgrim’s Society, allerdings mit einem anderen Akzent als Kennedy: “… ‘I would you to know that I believe the hope for a stricken world rests largely upon understanding, co-operation and confidence among the English-speaking peoples of the world …” Er fuhr fort “… ‘and to the task of maintaining and promoting this attitude of mind, I come here resolved to dedicate all that I am, all that I have of mind and spirit.’ …“ Um keinen Zweifel zu lassen, wie dies zu interpretieren sei, stellte er die “…successful cooperation of these two nations in the Great War“ heraus.

Natürlich wurde diese Rede auch in den USA bekannt und so ließ die Reaktion der Hearst Presse nicht lange auf sich warten: “Who put the Ass in Amb-ass-ador?“ lautete die Schlagzeile in seinem „Chicago Herald Examiner“. Im Editorial hieß es dann erstaunlicherweise, dass Bingham mit seinen Reden den Frieden und das gute Verhältnis zu England gefährde. Auch im Congress sah sich der Botschafter daraufhin Angriffen ausgesetzt.

Es mag heute überraschen, dass in Großbritannien selbst die Beaverbrook-Zeitungen “Evening Standard“ und “Daily Mail“ die Hearst Artikel abdruckten und mit ähnlichen Kommentaren versahen. Bingham kommentierte später, daß die ”…‘Hearst gang in our country and the Beaverbrok gang over here … hooked up with each other’ in order to discredit him. …”

Die pro-britische Haltung zog sich wie ein roter Faden durch Binghams Botschaftertätigkeit durch. Am 4. Juli 1936 hielt er eine kurze Rede vor der American Society in London, die auch über das CBS-network verbreitet wurde, und wiederholte, was er seit Anbeginn in London gepredigt hatte: “…The English speaking and ‘other free peoples in the world‘ must cooperate to confront the forces of ‘tyranny‘. …“. Aber auch in diesem Fall gab es sofort eine Reaktion der Isolationisten. Binghams Ausführungen würden die Wiederwahl des Präsidenten gefährden, so der Tenor.

Kritik und gehässige Kommentare sollten sich bis zum Ende seiner Amtszeit 1937 fortsetzen: “ … ‘Why must we have such sycophants as Democratic Administrations appoint as Ambassador to Great Britain? I mean Page and Bingham. Why should we send a boot-lick to a nation of dishonest and ungrateful welchers, whiners, repudiators and cads, instead of an upstanding American?’ …” lautete eines der Schreiben, das Cordell Hull erreichte [4], und dies bevor Bingham noch anläßlich des Pilgrim`s Dinner im Mai 1937 die Anglo-amerikanischen Bemühungen um den Weltfrieden herausgestellt und die Aufrüstung der Achsenmächte gebrandmarkt hatte “… ‘They rearmed and for what-for aggression‘, the ambassador charged. ‘No nation needs bombing airplanes, big tanks and heavy artillery unless it intends to plunder its neighbours.

…“ R. Worthless Bingham wurde er daraufhin adressiert und die Chicago Daily Tribune warf ihm die Verletzung der Neutralitätsgesetze vor.

Den aufrechten, standhaften und nicht unbedingt als anglophil bekannten Vertreter der Demokratischen Partei schien Roosevelt dann endlich mit Joseph Patrick Kennedy gefunden zu haben. Mit der Wahl eines Demokraten irischer Abstammung konnte Roosevelt auch diejenigen parteiinternen Gegner ruhigstellen, die ihm vorwarfen, mit Bingham einen anti-irischen Botschafter nach London geschickt zu haben. Zugleich war damit der katholische Flügel der Demokraten quasi befriedet, denn nach dem New Yorker Jim Farley, belohnt mit dem Amt des postmaster general, war mit dieser Entscheidung nun auch ein herausragender Katholik aus Boston mit einem hohen öffentlichen Amt betraut. Kritikern, wie z.B. Henry Morgenthau, hielt Roosevelt entgegen: “… Kennedy is too dangerous to have around here …“

In der Tat schien er damit ja auch einen schwierigen parteiinternen Koalitionspartner quasi neutralisiert zu haben. Rechnen mußte Roosevelt andererseits damit, dass Kennedy sich auch dieser Aufgabe als Botschafter mit voller Hingabe widmen würde. Es war schließlich nicht unbekannt, dass Kennedy neue Aufgaben nur dann übernahm, wenn ihm Aufgabenstellung und Zielsetzung vor Annahme der Aufgabe klar geworden waren und so war auch in diesem Falle anzunehmen, dass zumindest er wußte, wozu die Botschaftertätigkeit in London gut sein sollte.

Nicht zu befürchten war, dass Kennedy irgendetwas mit den Idealen des Southern Mystique, zu denen man ja in gewisser Weise auch den in Tennessee geborenen Cordell Hull zählen konnte, verband. Überhaupt war nicht anzunehmen, dass Kennedy sich von irgendwelchen idealistischen Vorstellungen lenken ließ. Er war zwar, wie bereits angedeutet, gläubiger Katholik, allerdings überließ er Kirchgänge gerne seiner Frau und den Kindern. Gezielt spielte er die katholische Karte erst, nachdem es ihm gelungen war, mit Hilfe des Bischofs und späteren Kardinals Spellmann engeren Kontakt zu Kardinalstaatssekretär Pacelli zu knüpfen. Nun taten sich neue Perspektiven auf und spätestens mit der Ernennung Pacellis zum Papst muß ihm seine eigentliche persönliche Aufgabe klar geworden sein und die bestand augenscheinlich darin, zunächst einmal die Machtübernahme Francos zu sichern und dann, trotz eines revisionistischen, diktatorisch regierten Deutschen Reiches, in welchem Unterdrückung von Minderheiten und offener Antisemitismus zur raison d‘ etre gehörte, alles zu tun, was der Wahrung des Friedens in Europa diente. Im Gegensatz zu dem unbeirrbaren Kritiker des Deutschen Reiches Robert Worth Bingham akzeptierte Kennedy den militärischen wie auch den räumlichen Machtzuwachs des Deutschen Reiches und schlug sich auf die Seite der Appeaser, offenkundig bereit, vieles dafür zu tun, dass der Bestand des Deutschen Reiches nicht gefährdet wurde. Deswegen auch die vielfältigen Bemühungen, über den deutschen Botschafter in London eine Begegnung mit Adolf Hitler herbeizuführen. Deswegen aber auch die Bemühungen um Lindbergh. Lindberghs Erkenntnisse und Bewertungen erschienen Kennedy insofern wertvoll, als der britischen Seite damit verdeutlicht werden konnte, dass die britischen Luftstreitkräfte nicht stark genug waren für einen schnellen siegreichen Waffengang und dass mit den modernen Luftstreitkräften auch das Rückgrat des Empire, die britische Flotte, an Bedeutung verloren hatte. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß Neville Chamberlain, der noch als Schatzkanzler ab 1935 das größte britische Aufrüstungsprogramm nach dem Great War mit dem ausdrücklichen Schwerpunkt der Weiterentwicklung der Luftstreitkräfte – entgegen den Vorstellungen des Defence Requirements Committee – in Auftrag gab, immer noch als hilfloser, naiver Appeaser dargestellt wird.

Für den Geschäftsmann Kennedy zählten im Übrigen allein Geschäfte und Geschäftspartner. Zu diesen konnte man in gewisser Weise auch Roosevelt zählen. In diesen hatte Kennedy viel investiert. Er hatte nicht nur viel Geld im Rahmen der Wahlkämpfe aufgebracht, sondern sich auch mit all seinen Verbindungen für Roosevelt eingesetzt. Roosevelt wäre beispielsweise 1932 kaum Präsident geworden, hätte Kennedy nicht seine guten Kontakte zu Randolph William Hearst genutzt und damit beim Wahlparteitag der Demokraten in Chicago den Rückzug des Texaners John Nance Garners erreicht. Es verstand sich von selbst, dass sich ein Investment „auszuzahlen“ habe, wenn auch nicht unbedingt in Cent und Dollar. Dieses pay back-Geschäft hätte auch nicht unbedingt mit dem Botschafterposten zum Ausdruck kommen müssen; Kennedy hätte bekanntlich die Treasury vorgezogen, aber es war ihm sehr schnell klar geworden, dass an Morgenthau, dem engen Freund Roosevelts, kein Vorbeikommen war. Warum also nicht Botschafter in London? Im Übrigen gingen Freunde wie auch Parteifreunde und wohl sogar er selbst zunächst davon aus, dass auch dieser Posten nicht mehr als ein Intermezzo sein würde, so wie seine Tätigkeiten als Chairman of the Securities and Exchange Commission, SEC, wie auch als chairman der neu eingerichteten Maritime Commission, die er jeweils kaum ein Jahr ausübte.

Roosevelt hatte Kennedys Schwächen, insbesondere das überstarke Streben nach öffentlicher Anerkennung, speziell in der dominanten angelsächsisch-protestantischen Welt der Vereinigten Staaten, schnell erkannt und begann, diese zu nutzen. Roosevelt hatte andererseits aber auch die Stärken Kennedys kennengelernt, nämlich Kennedys beeindruckende Fähigkeit in making friends, das effiziente zielstrebige Arbeiten und das außerordentiche Verhandlungsgeschick gepaart mit starker Durchsetzungskraft.

Genau diese Fähigkeiten spielte Kennedy in London auch aus und insofern schien er ja zunächst auch alle Erwartungen zu erfüllen. Vor allem gelang es Kennedy, das durch das vieldeutige Verhalten Roosevelts stark beeinträchtigte anglo-amerikanische Verhältnis wieder zu beleben. Von großer Bedeutung war dabei das nahezu freundschaftliche Vertrauen zu dem kühlen starken Mann der britischen Regierung, Neville Chamberlain, das Kennedy auch dank der Hilfe der Astors gewinnen konnte. Die special relations bekamen so eine neue Wendung. Dieses enger werdende Vertrauensverhältnis wurde allerdings insofern problematisch, als Chamberlain – der klassische gewerkschaftskritische, patriarchalische Unternehmer und auch erfolgreiche ehemalige Bürgermeister von Birmingham – sich immer weniger bemühte, seine Verachtung der Labour Party und auch der Gewerkschaften zu kaschieren. Allein aus taktischen Gründen hätte ein Joseph Kennedy sich so etwas nie erlaubt. Chamberlains Verhalten trug nicht nur zur Polarisierung im Parlament bei, die Kontroverse wurde auch auf anderen Feldern, z.B. über die Presse, fortgeführt, und so ist dann auch die Veröffentlichung des Berichts der zwar auflagenschwachen, andererseits aber auch meinungsstarken Wochenzeitung The Week über die Cliveden Set einzuordnen. Dieses Organ wurde regelmäßig Innenminister Harold Ickes zugespielt und sehr bald zirkulierte daraufhin in Washington die Behauptung der US-Botschafter Kennedy habe sich von der Cliveden Set einnehmen lassen und sympathisiere mit der faschistischen Welt. Die Labour -Opposition, ergänzt um den ewigen Chamberlain Widersacher Lloyd George und in dessen Gefolge in Grenzen auch Winston Churchill, nutzten ihre Kanäle, um nicht nur Chamberlain zu bekämpfen, sondern auch dessen Bündnisgenossen Joseph Kennedy.

Als dann vom Herbst des Jahres 1938 an, nach Kennedys Rede vor dem Navy Club anläßlich des Trafalgar Day Dinner mit dem verklausulierten Plädoyer für ein friedliches Zusammenleben von Demokratien und Diktaturen, die ersten schriftlichen Beschwerden und Negativmeldungen im State Department eingingen und die Ostküstenpresse Kennedys öffentliche Auftritte und Äußerungen anprangerte, war das unter der Berücksichtigung der lauten Kritik an den Vorgängern zunächst einmal nichts Besonderes. Überrascht haben mag das am ehesten noch Kennedy selbst, der sich bis zu diesem Zeitpunkt von der Presse getragen fühlen durfte und ja auch alles dafür getan hatte, Pressebedürfnisse zu befriedigen. Immerhin hatte er ja nicht nur bedeutende Pressevertreter wie z.B. Walt Lippmann, Henry Luce und Arthur Sulzberger in London hofiert, auch Vertraute des Präsidenten, z.B. Bernard Baruch oder Regierungsvertreter wie Harold Ickes empfing er überschwenglich und gern ließen diese „Freunde“ sich dann auch von Kennedy in das britische gesellschaftliche Leben einführen.

So haderte Kennedy im Herbst 1938 wieder einmal mit dem Schicksal, und es ist anzunehmen, dass er bereit war, den Botschafterposten aufzugeben. Als er sich am 6. Dezember 1938 auf die Heimreise machte, schien das Drehbuch quasi geschrieben zu sein. Es werde eine heftige Auseinandersetzung zwischen Roosevelt und seinem maverick ambassador geben, schrieb Boake Carter im New York Daily Mirror und setzte fort: ”…‘The White House has on its hand a fighting Irishman, with blazing eyes and a determination to strip the bandages of deceit, innuendo and misrepresentation bound around the eyes of American citizens.’ … “ Einem Kollegen Carters gegenüber mutmaßte Kennedy selbst, es sei möglich, daß er entlassen werden würde; “…‘ I am going home to face the President and tell him what I think – and what I think won`t please him.’”. Roosevelt tat dies alles ab; Kennedy komme lediglich zurück, um Weihnachten in den USA zu verbringen, ließ er verlauten. Jim Farley äußerte allerdings in einem Gespräch mit Morgenthau, “…that Roosevelt was ‚terribly peeved with Joe … When Joe comes back, that will probably be the beginning of the end.’ …”

In der Tat mag dies der Anfang vom Ende gewesen sein; es sollte allerdings ein langes Ende werden, denn, wie gewöhnlich, vermied Roosevelt eine klare Entscheidung und überließ zum Leidwesen der deutschen US-Botschaft wieder einmal die Interpretation dieses Nichthandelns den ratlosen Partnern und Gegnern in der Welt.